Das Landgericht Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 26. Juni 2024 (Az.: 34 O 107/22) deutlich gemacht, dass Ärzte gesetzlich versicherten Patienten keine früheren Termine als Selbstzahler anbieten dürfen, wenn diese innerhalb der regulären Kassensprechstundenzeiten liegen.
Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein vertragsärztlich tätiger niedergelassener Augenarzt bot über die Internet-Plattform jameda einen Online-Terminservice an. Bei der Terminauswahl mussten die Patienten zunächst angeben, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind. Wenn an dieser Stelle „gesetzlich versichert“ ausgewählt wurde, erschien unmittelbar der Hinweis: „Was Sie noch wissen sollten: Selbstzahlergebühr: wenn Sie gesetzlich versichert sind, müssen Sie die Kosten für die Behandlung selbst übernehmen.“
Über jameda wurden die Patienten auch auf der Homepage des Arztes weitergeleitet. Dort konnten die Patienten auf einem Kalenderfeld einen als verfügbar ausgewiesenen Termin durch Anklicken auswählen. War der Patient dann gesetzlich versichert und klickte auf einen Termin in den nächsten Tagen, erschien ebenfalls der Hinweis: „Was Sie noch wissen sollten: Selbstzahlergebühr: wenn Sie gesetzlich versichert sind, müssen Sie die Kosten für die Behandlung selbst übernehmen.“
Im Juni 2022 wollte eine Zeugin für sich und ihren Ehemann einen Termin zur Durchführung einer augenärztlichen Behandlung – eine Macula-Netzhautdiagnostik/OCT, die in einem bestimmten Umfang von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, im Übrigen aber als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) abgerechnet wird – buchen. Für den 15. Juli 2022 waren nach der Plattform jameda zahlreiche Termine frei. Die Zeugin selbst war privat krankenversichert. Ihr Ehemann war gesetzlich krankenversichert. Aufgrund eines zwischen der Zeugin und einer Mitarbeiterin des Augenarztes inhaltlich streitigen Telefongesprächs sagte die Zeugin die vereinbarten Termine später ab.
In der Folge klagte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Klägerin) gegen den Augenarzt (im Folgenden: Beklagter) auf Unterlassung der Erhebung einer Selbstzahlergebühr für gesetzlich krankenversicherte Patienten als Gegenleistung für die Vereinbarung eines kurzfristigen Termins. Die Klägerin war der Ansicht, der Beklagte verlange ausdrücklich von gesetzlich Versicherten für die Vergabe eines frühen Termins, dass diese die Leistungen dann selbst bezahlen. Im streitgegenständlichen Einzelfall, habe eine Mitarbeiterin des Beklagten der Zeugin mitgeteilt, ihr gesetzlich krankenversicherter Ehemann müsse für den frühen Termin € 150,00 zahlen, da die Praxis bis weit in den September ausgebucht sei. Es handele sich damit um eine privatärztliche Versorgung, die der Beklagte den Patienten statt der ihnen zustehenden Sachleistung aufnötige. Dies verstoße gegen § 128 Abs. 5a SGB V, § 32 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte (AEKNO), § 18 Abs. 8 Bundesmantelvertrag-Ärzte und § 4a Abs. 1 Nummer 2, Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 5b Abs. 1 Nr. 3 UWG.
Der Beklagte vertrat die Ansicht, es sei zulässig, frühere Termine an solche Patienten zu vergeben, die ihre Leistungen selbst zahlen. Er trug selbst vor, dass der gewünschte Termin für den Ehemann der Zeugin nur dann hätte vereinbart werden können, wenn dieser für die Behandlung die Kostenerstattung gewählt hätte. Andernfalls wäre erst ein Termin ab September desselben Jahres frei gewesen.
Aus den Gründen: Das Landgericht Düsseldorf gab der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung, in seiner Augenarztpraxis Behandlungstermine anzubieten oder anbieten zu lassen, bei denen der gesetzlich Versicherte für einen früheren Termin zur Behandlung die Kosten der Behandlung entgegen dem Sachleistungsprinzip selbst tragen müsse. Durch das Angebot, gesetzlich Versicherten einen früheren Termin gegen Bezahlung zu vergeben, verstoße der Beklagte nach Ansicht des Landgerichts Düsseldorf gegen § 3a UWG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Satz 1 AEKNO.
Gemäß § 3a UWG handele unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandele, die auch dazu bestimmt sei, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet sei, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Der Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 AEKNO komme laut dem Landgericht Düsseldorf eine solche Schutzfunktion zugunsten anderer Marktteilnehmer zu. Gemäß dieser Vorschrift sei es Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten oder anderen Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern. Dem Arzt werde so untersagt, einen irgendwie gearteten Vorteil anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt werden könne, dass eine ärztliche Entscheidung nicht unabhängig erfolge. Die Norm diene damit ebenfalls dem Schutz des einzelnen Patienten vor unsachlicher Beeinflussung einer ärztlichen Entscheidung. Der Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 AEKNO liege darin, dass der Beklagte einem gesetzlich Versicherten einen früheren Termin für den Fall angeboten habe, dass der Patient die Behandlungskosten selbst übernehme und damit nicht auf das allgemeine Sachleistungsprinzip bestanden habe, dass grundsätzlich gegenüber der Kostenerstattung vorrangig sei (§ 18 Abs. 8 Bundesmantelvertrag-Ärzte). Durch diese Vorgehensweise habe sich der Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil dafür versprechen lassen, dass er eine ärztliche Behandlung zu einem bestimmten, nämlich früheren Zeitpunkt durchführt. Das Terminangebot sei zudem in der gesetzlichen Sprechstundenzeit erfolgt.
Selbiges gelte für das Terminangebot für gesetzlich Versicherte mit akuten Beschwerden bzw. Schmerzen, mit dem Hinweis, dass die Kosten für Behandlung selbst übernommen werden müssen. Auch hier sei ein Verstoß gegen § 3 sowie § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG anzunehmen.
Fazit: Auch wenn die Versuchung – angesichts allerorts hoher Patientenzahlen – Patienten durch Angebote als Selbstzahler schnellere Termine zur Verfügung zu stellen, groß und nachvollziehbar erscheint, sollte davon Abstand genommen werden. Zu den in dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf aufgezeigten Risiken, gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in Verbindung mit den geltenden Berufsordnungen zu verstoßen, gesellen sich erhebliche weitere Risiken in Bezug auf mögliche Gesetzesverstöße. Gemäß § 18 BMV-Ä verstoßen Vertragsärzte, die Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten. Liegt ein solcher Verstoß vor, ist ein Disziplinarverfahren (§ 81 Abs. 5 SGB V) die mögliche Folge.
Das Risiko eines Verstoßes gegen § 128 Abs. 5a SGB V besteht ebenfalls. Danach verstoßen Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten.